20
Dez
2008

Unvollendete Komposition

Der Hauptunterschied zwischen Musik und Texten ist, dass sich Musik wiederholen muss und Textteile sich niemals wiederholen dürfen.

Deshalb stelle ich es mir schwierig vor Texte im selben Sinne variabel zu schreiben wie Musik variabel ist.

Zum Beispiel eine Geschichte, die wie ein klassisches Stück geschrieben ist und eine die Trance ähnelt?

...der Wind streicht sanft über die Grasebene und verursacht dabei ein ganz leises Rascheln. Ein Geräusch stört diese stille Atmosphäre: ein feines Brummen, das langsam lauter wird. Das spätsommerliche Licht lässt alle Grashalme in einem fast goldenen Farbton leuchten. Dieser Farbton wechselt im Rhythmus des Windes von hell zu dunkel und wieder zurück. Das Geräusch wird beständig lauter. Es lassen sich mittlerweile einzelne verschieden hohe und intensive Brummen unterscheiden...

"Was wollen Sie?" Sie sieht unwillig über die Schulter. "Ein Brot" scheint sie nicht zufrieden zu stellen. Fast wütend dreht sie sich weg. Ein Schritt zur Seite und ein Griff in die Auslage: "2 Euro!"
Nachtgezwitscher - 21. Dezember, 03:20

Da ich mich gerade an der Uni wegen meiner nächsten Prüfung wieder mit Literatur befasse, hab ich Lust, einen Beitrag zum Thema zu leisten:

Wenn es bei einem Text rein um die Vermittlung des Inhaltes geht, gebe ich dir Recht, gibt es theoretisch wenig Variationsmöglichkeiten. Sobald die Lautform aber anfängt, eine Rolle zu spielen, dürfen sich auch Texte wiederholen. Das fängt bei Prosa harmlos mit der gezielten Wiederholung eines Buchstaben, einer Buchstabenkombination oder eines Wortes an, und ist ganz extrem, wenn der Text der stark Musik angenähert wird, wie bei dem Refrain eines Liedes zum Beispiel. In diesem Sinne sind Texte doch viel variabler als Musik: Sie beinhalten sowohl eine logische Ebene (die fehlt bei der rein instrumentalen Musik) als auch eine emotionale, eine semantische und eine lautliche, auf beiden kann gespielt und experimentiert werden.

Der Text, der einer Trance ähnelt, beinhaltet für mich zwar keine direkte Wiederholungen, aber die Stimmung wird doch durch das Nennen von unterschiedlichen Worten aus ähnlichen Sinnbereichen erreicht (eine Art inhaltliche Wiederholung). Der Text wird dadurch sehr atmosphärisch, dass er die Sinne direkt anspricht: Das Fühlen (streicht, sanft), das Hören (leise, Rascheln, Geräusch, still, Brummen, lauter), das Sehen (Licht, golden, Farbton). Am Ende des Textes verschmelzen die Sinne, und man ist voll drin in der Situation. Bei diesem Text sind die Sätze auch recht lang, auch das vermittelt die Ruhe der Szene. Wenn man sich dagegen den unteren Text anguckt, sind die Sätze sehr kurz und abgehackt und unterstreichen die Aggressivität das Inhalts. Usw... Die zwei zitierten Texte sind gute Beispiele für ganz gegensätzliche Stile.

So, ich hoffe, das war nicht zuviel, aber weil ich mich im Moment genau damit beschäftige, hat's mich gejuckt. Wünsche eine gute Nacht!

Nielsson - 21. Dezember, 15:58

Vielen Dank für deinen Kommentar.

Mit "Trance" meinte ich den Musikstil: irgendwas zwischen Dance und Techno.

Danke auch für das "zitierte". Das war heute mein einziges Lächeln. :-)
virtualmono - 22. Dezember, 01:08

eine logische Ebene (die fehlt bei der rein instrumentalen Musik)

Da muß ich als Musiker entschieden widersprechen. Die Musik ist der Mathematik näher als Otto Normalverbraucher gemeinhin ahnt, daher steckt auch in Instrumentalmusik mindestens genausoviel Logik wie in einem Text...
Nachtgezwitscher - 22. Dezember, 18:11

@ Nielsson:
Selbst geschrieben? Ah schön! Hihi, dann freu ich mich, dass ich ein Kompliment verteilt hab :-)

@ Virtualmono
Ui, stimmt. Hab auch mal in grauen Vorzeiten in der Musikschule Begleitungen schreiben müssen. Aber ich meinte natürlich nur die Rezeption ;-) Oder greift die Logik da auch?

PS: Das mit der Rezeption hab ich mir gerade selbst beantwortet. Ob man Musik logisch rezipiert, hängt bestimmt davon ab, wie geschult man in Sachen Musiktheorie ist.

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